Geschichte trifft Zukunft

Begegnungen von Schülern aus der  Bundesrepublik Deutschland und der DDR vor mehr als 30 Jahren interessieren die  junge  Generation im  wieder vereinten  Deutschland.  

OStR i.R. Hans Mittmann, Osterode  und Gisela Hartmann, Nordhausen folgten der Einladung des Tilman-Riemenschneider-Gymnasiums Osterode am Harz,   um als Zeitzeugen zum Thema „Mauerfall vor 30 Jahren“ aus ihrem Erleben im geteilten Deutschland  zu berichten und mit den Schülern des 11. Jahrgangs ins Gespräch zu kommen.

Zunächst schilderte  Hans  Mittmann, damals  Lehrer am Osteroder Gymnasium, wie er   vor  mehr als 30 Jahren 5 Jahre lang rund 20 Tagesfahrten im Kleinen Grenzverkehr für alle 11. Klassen von Osterode nach Nordhausen oder Mühlhausen organisiert und mit Kollegen durchgeführt hatte. Das war unter den damaligen Bedingungen der Grenzüberschreitung mit langwierigen Genehmigungsverfahren, Zwangsumtausch und Stasiüberwachung verbunden, aber notwendig, um seinen Schülern das Leben in der DDR  nahe bringen zu können.

Die damaligen Schüler und Schülerinnen sind die Eltern der heutigen Schülergeneration. So erinnerte sich eine anwesende Schülerin an Berichte ihrer Mutter von einer solchen Fahrt über die Begegnungen in der  DDR mit kirchlichen Jugendlichen, aber auch an den Besuch im Konzentrationslager Mittelbau Dora in Nordhausen. 

Die Idee, im „Kleinen Grenzverkehr“ mit öffentlichen Verkehrsmitteln in die DDR einzureisen, um die bei kommerziellen Busreisen obligatorische „ständige (politisch geschulte) Begleitung“ zu vermeiden, wurde zusammen mit Gisela und Wolfgang Hartmann in Nordhausen entwickelt. Sie sorgten als engagierte Christen für Treffen mit Jugendlichen der „Jungen Gemeinde“ am Zielort, mit denen offene Gespräche geführt werden konnten. Neben dem offiziellen „antifaschistischen“ Bild der DDR im ehemaligen KZ Mittelbau-Dora gab es so auch einen intensiven und nicht politisch gelenkten Austausch über den normalen Alltag der Jugendlichen in beiden deutschen Staaten. 

Ein genauerer Bericht über die letzte Fahrt am Tag vor der Grenzöffnung (!) zeigte, wie das Programm nur durch spontane Improvisation in dem schon in Auflösung begriffenen Umfeld vor Ort durchgeführt werden konnte.

Gisela Hartmann  berichtete  von ihrem Leben in einem Staat, der Christen, Bürgerrechtlern, Kritikern des DDR Regimes  all das verweigerte, was für Schüler heute selbstverständlich ist. 

Dazu gehörten die Schilderungen über behinderte Bildungswege, Überwachungen durch die Staatssicherheit, Disziplinierungen, aber sie schilderte auch, wie ein Leben im Widerstand und zivilen Ungehorsam  die Persönlichkeit herausgefordert und geformt hat.

Der Uniformierung und  Ideologisierung im Alltag, in den Betrieben und Schulen   begegneten Regime-Kritiker mit Wehrdienstverweigerung,  sie organisierten sich immer  mehr in Friedens- und Umweltgruppen in der Gesellschaft,  vor allem  unter dem Dach der Kirchen in der DDR.

Der  Ausreisewille von  immer mehr DDR-Bürgern  heizte die Situation noch mehr an. Die Forderungen  nach  Presse- und Meinungsfreiheit, Abschaffung des Wehrkundeunterrichtes  und  Überwindung des Ost- West-Konfliktes, insbesondere die Forderungen nach Reisefreiheit, wurden immer drängender und lauter.

1989 geschah dann das Wunder, von dem alle geträumt,  es aber nicht für möglich gehalten hatten: Die Mauer fiel.

Die gespannte Aufmerksamkeit und Stille bei einer so großen Schülerzahl war beeindruckend, und ihre Fragen gezielt. So interessierte die Schüler das Thema Angst vor Benachteiligung und Bespitzelung durch die Stasi  bis hin zur Inhaftierung. Denunziationen im Betrieb, selbst in den Familien und im Freundeskreis waren an der Tagesordnung. Das schuf eine Atmosphäre von Angst und Misstrauen.

Angst war in der DDR durchaus ein Thema, und nicht Wenige zahlten mit dem Gefängnis für ihren Widerstand, so Gisela Hartmann. Wer aber wie sie durch ehrenamtliche Tätigkeit in Synoden, Kirchenleitungen und bei Kirchentagen im öffentlichen  Leben stand,  war einigermaßen vor dem Zugriff des Staates geschützt. Auf der Internierungsliste für den Herbst 1989 befand sich allerdings  auch ihr Name….

Wie war das Leben im Alltag der DDR, im Sozialismus? Der „brave Bürger“ konnte sich geborgen fühlen. Es hungerte niemand, viele konnten reisen, wenn auch nur in die östlichen „Bruderländer“, wie Ungarn, Rumänien, UDSSR etc. Es schlief niemand unter einer Brücke. Millionäre gab es, wenn überhaupt,  verschwindend wenig, und auch ärmere und kinderreiche Familien fanden in Betriebs- und FDGB Kinderheimen Urlaubs-  und Erholungsmöglichkeiten.  Arbeitslosigkeit gab es offiziell nicht, jeder war irgendwie in einen Betrieb integriert – auch wenn er unterbeschäftigt war. Aber es  fehlte vieles, was selbstverständlich zu einem guten Leben dazugehört, wie Meinungs-, Presse- und Reisefreiheit, Wehrdienstverweigerung etc. Die schlechte   Luft- und Wasserqualität, das Waldsterben und andere Umweltsünden durften nicht thematisiert und hinterfragt werden.  

Es gab viele, die widerstanden und etwas unternahmen. „Unsere Stärke war die  Vernetzung auch über die Grenzen der DDR hinaus,“ so Gisela Hartmann. Sie gründete  1983 in   Nordhausen das kirchliche Umweltseminar. Jedes Jahr im April gab es 4 Tage lang ein volles Programm für Kinder und Erwachsene mit Schriftstellern, Künstlern, Theologen und  Wissenschaftlern. Die Stasi überwachte und dokumentierte alles auf das Genaueste, wie sie nach dem Mauerfall aus ihrer Stasiakte  entnehmen  konnte. 

Eines konnte sie den Schülern aus  Überzeugung sagen: Die Erfahrungen als Christen  im Sozialismus waren keine verlorene Zeit. Es war Widerstand gegen ein ungerechtes Regime.

Gisela Hartmann rief den Schülern zum Schluss zu: „Die Mauer haben wir überwunden, heute gilt es neue Herausforderungen zu bestehen,  und die, die vor Euch stehen, sind auch gewaltig. Für Eure Zukunft tragt ihr jetzt die Verantwortung“. 

von Gisela Hartmann und Hans Mittmann

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