Die 3 Ebenen des Osteroder Modells
Ebene 1: Schule
Der stereotype und vereinfachende Lektionstext im Lehrbuch meiner siebten Französischklasse über ein frankophones Beispielland, den Senegal, bewog mich dazu, nach anderen Lernwegen zu schauen. Mir reichte es nicht, im Rahmen von zwei Doppelstunden über Obststände, einen senegalesischen Sänger und einen Nationalpark zu berichten. Im Gegenteil: Ich verspürte eine tiefe Motivation, meine SchülerInnen (und auch mich selbst) in Kontakt zu bringen mit den Menschen dieses bunten Kontinentes, mit ihren Lebensgewohnheiten, ihrer Kultur und Lebensfreude. Ich träumte von einem Briefprojekt mit einer senegalesischen Schulklasse.
Gesagt, getan: Nach Rücksprache mit meinen Schülern und trotz (vielleicht auch aufgrund) ihrer Zweifel („Das schaffen Sie nie.“) schrieb ich am 29.03.2012 eine Mail an einen gewissen Elhadj Mamadou Diouf, Deutschlehrer in Kaolack, mit der Bitte, über wechselseitige Briefe die Kultur und Sprache des jeweils Anderen erfahrbar zu machen. Seine positive Antwort ließ nicht lange auf sich warten (exakt 17,5 h) und sie sollte den Anfang einer unglaublichen Geschichte bilden, die wir seitdem schreiben.
Ich kann aus tiefstem Herzen sagen, dass dieses Projekt mein Leben und das Leben vieler anderer (teilnehmende SchülerInnen, Gastfamilien, KollegInnen, kommunale Akteure, Zivilgesellschaft in Osterode und Kaolack etc.) bereichert und positiv verändert hat. Wir alle haben ein zweites Augenpaar auf unsere Welt erhalten, das wir in unserem europäischen bzw. afrikanischen Dasein nie hätten bekommen können.
„Die Dinge hängen zusammen, egal ob arm oder reich, ob schwarz oder weiß, ob Muslim, Jude oder Christ. Wir sind alle Menschen und wir müssen gemeinsam für diese EINE Welt, für UNSERE Welt einstehen. Wir können so viel voneinander lernen und so viel zusammen schaffen.“
Worte eines deutsch-senegalesischen Tandems im Rahmen von Begegnung 13, Dezember 2017
Elhadj und ich haben als Kollegen begonnen und sind zu Brüdern geworden. Wir haben Briefkontakte gesucht und reale Begegnungen hier wie dort realisiert. Wir haben ein Schulprojekt in die Kommune getragen und mit Bürgermeister Klaus Becker aus unserem Duo ein Trio gemacht. Der tragische Unfalltod des 15. Januar 2018 hat unser gesamtes Werk auf eine unglaubliche Probe gestellt. Zu keiner Sekunde habe ich jedoch daran gezweifelt, den Brückenbau fortzusetzen. Dafür ist unsere Vision wechselseitigen Lernens und gesellschaftlicher Partizipation zu kostbar. „Die Sache ist immer größer als wir selbst.“ Das haben Elhadj und ich uns immer gesagt und das hat ewige Gültigkeit – zu Lebzeiten und über seinen Tod hinaus. Es ist an mir, sein Herzblut für die Sache zu transportieren und Mitstreiter mit Herz auf beiden Seiten zu finden, die ähnliche Visionen hegen. Beides ist mir, Gott sei Dank, bis heute gelungen und die Gründung der Elhadj Diouf Foundation ist das sichtbare Resultat. Wahrscheinlich, hoffentlich, nein sicherlich hatte Elhadj Diouf Recht:
„Das Beste kommt noch…“
von Tobias Rusteberg, 15.07.2018
Ebene 2: Kommune
Der ehemalige Bürgermeister Klaus Becker hat die Schulpartnerschaft von Beginn an als Bereicherung für Osterode erkannt und intensiv verfolgt. Anfang 2017 lud er Tobias Rusteberg zu sich ins Büro ein und beide eruierten, welche Entwicklungspotenziale es auch für den kommunalen Kontext geben könne. Gemeinsam mit dem senegalesischen Motor der Partnerschaft, Elhadj Diouf, fanden von nun an regelmäßige Dreiertreffen im Rahmen von Begegnungsreisen und schließlich tägliche Beratungen via neue Medien statt. Aus einem Duo war ein Trio geworden…
Insbesondere Kommunen spielen bei der Umsetzung der globalen „Agenda 2030“ eine zentrale Rolle. Bürgermeister Becker bat zunächst die schulischen Akteure zu einem Vortrag vor dem Osteroder Stadtrat. Vor allem die SchülerInnen verstanden es, die Ratsmitglieder zu begeistern und der Grundstein für den Aufbau einer Städtefreundschaft war gelegt. Als Sonderbeauftragte der Stadt Osterode am Harz (Chargé des Affaires Spéciales) trieben Diouf und Rusteberg die Vernetzung auch auf senegalesischer Seite mit der Kommune Kaolack voran und es gelang dem Trio auf Grundlage der entsprechenden kommunalpolitischen Beschlüsse gemeinsam mit der Servicestelle „Kommunen in der Einen Welt“ die Realisierung von bis dato zwei Anbahnungsreisen. Sowohl die Tage im Januar 2018 in Kaolack als auch die gemeinsame Zeit im Juni 2018 in Osterode am Harz haben gezeigt, dass man so viel voneinander lernen kann und dass die globalen Herausforderungen nur gemeinsam zu bewältigen sind.
„Ich halte es für immens wichtig, die Menschen in unserer Stadt, aber auch in Kaolack für die EINE Welt zu sensibilisieren. Die Herausforderungen in diesen beiden so unterschiedlichen Städten sind in vielen Fällen sehr ähnlich, es gibt aber völlig andere Lösungsansätze. Genau das sind die Situationen, in denen wir voneinander lernen.“
Klaus Becker, Osteroder Bürgermeister, a.D.
Es folgte die erfolgreiche Bewerbung für das zweijährige Projekt „Kommunale Klimapartnerschaften“ (2019-2021). Bürgermeister a.D. Becker sagte dazu: „So wie sich unsere Partnerschaft aufbaut, ist vorbildlich. Wir entwickeln das sukzessive, ohne etwas zu überstürzen. Wir haben es in den Anbahnungsreisen geschafft, in kurzer Zeit jeweils das Maximum an Erkenntnissen über die Partnerstadt zu gewinnen. Das ist eine hervorragende Grundlage für Phase II, in der mögliche Maßnahmen ausgearbeitet und umgesetzt werden.“
Osterode und Kaolack – um Begegnungen voraus…
Ebene 3: Elhadj Diouf Foundation
Der tragische Unfalltod von Elhadj Mamadou Diouf geschah nur wenige Tage nach unserer ersten kommunalen Anbahnungsreise im Januar 2018. Worte reichen nicht aus, um zu beschreiben, was dieses Ereignis mit allen Aktiven auf der „Brücke zwischen Osterode und Kaolack“ gemacht hat und noch immer macht. Die Installation einer Stiftung war seit geraumer Zeit Thema zwischen dem Trio Becker, Diouf und Rusteberg. Der 15.01.2018 hat diese vage Idee zu einer konkreten Notwendigkeit verwandelt und uns auch bei der Namensgebung jegliche Entscheidung abgenommen.
Die Gründung der Elhadj Diouf Foundation (EDF) zum Fortentwickeln der deutsch-senegalesischen Begegnungsbrücke hatte von nun an oberste Priorität. Das Duo Diouf und Rusteberg war auf ihrem gemeinsamen sechsjährigen Weg diversen Menschen mit Herz begegnet und so lag es nahe, mit diesen das Erbe des Deutschlehrers, des Brückenbauers, des Visionärs, Freundes und Bruders aus Kaolack fortzusetzen.
Dank der Unterstützung der Brusch & Ritscher Stiftung, namentlich dank Detlev Koch, war es möglich, die juristischen Details zeitnah zu klären. Neben den Stiftern Becker und Rusteberg wurde ein Stiftungsrat gebildet, der aus Visionären mit Herz besteht:
- Lehrerin Christine Prions, von Beginn an Teil des Senegal-Projektes und selbst zweimalige Begleiterin einer Reise nach Senegal
- Allgemeinarzt Dr. Mirko Mehde, Teilnehmer der Januar-Anbahnungsreise, Unterstützer und Berater des Cabinet Médical Elhadj Mamadou Diouf in Kaolack
- Matthias Stach, TV-Moderator, zweifacher Gewinner des deutschen Fernsehpreises